Der Riese von Heinzenberg


Der Riese von Heinzenberg

Sie führt uns zurück in den großen Dreißigjährigen Krieg, der so viel Elend über das Taunusland brachte. Zuerst suchten die Soldaten und die ihnen folgenden Räuber und Plünderer die Dörfer in den Tälern heim und ließen die auf den Bergen ungeschoren. Aber als sie drunten alles abgegrast hatten, gingen sie auch hinauf zu den höher gelegenen Siedlungen, um dort Beute zu machen.
So kam das Kriegselend auch nach Heinzenberg. Die Dorfbewohner flohen und versteckten sich in Wald und Höhlen. Als sie zurückkehrten, waren Schränke und Truhen leer. und manches Haus lag in Schutt und Asche.
In ihrer größten Not erschien plötzlich ein Fremder in ihrem Dorf. Er war so groß, daß er an die Riesen der Vorzeit erinnerte, und so nannte man ihn auch alsbald den Riesen. Zuerst fürchteten sie sich vor ihm, aber als er ihnen Beistand und Hilfe versprach und tüchtig zupackte, faßten sie Vertrauen zu ihm. Er versammelte die jüngeren Männer und Burschen um sich und rüstete sie mit Hieb- und Stichwaffen aus, so gut er konnte. Als wieder ein neuer Haufen von Plünderern anrückte, trat er ihm mit seiner Truppe tapfer entgegen und schlug ihn in die Flucht. Schon seine übernatürliche Größe jagte den Angreifern Furcht ein.
So waren die Heinzenberger froh, den Riesen bei sich zu haben, wenigstens so lange die Kriegsnot dauerte. Doch als es dann eine zeitlang still und friedlich wurde, hätten sie ihn gern wieder losgehabt, da er in den Häusern rundum ging und immer einen kräftigen Hunger mitbrachte.
Sie berieten sich heimlich und schickten ihn eines Tages in die Wolfsschlucht bei Grävenwiesbach, wo es ein starkes Rudel hungriger Grauröcke gab, die oft in die kleinen Schafherden der Dörfer einbrachen. Die würden den Riesen wohl zerreißen, dachten die Undankbaren.
Gutmütig lachend machte der Riese sich auf den Weg und kam nach einigen Tagen wieder, einen großen Wolf wie ein Hündlein am Strick führend. Den zähmte er, und als neue Feinde kamen, flohen sie entsetzt, wenn sie den Riesen an der Spitze des kleinen Dorfheeres sahen, mit einem zähnefletschenden Wolf zur Seite.
So blieb der Riese im Dorf, diente als Hirte und erhielt sein Grab auf dem Friedhof der Mutterkirche. Woher er einst kam, weiß niemand.
Quelle/Autor: „Taunus-Sagenschatz“, von Helmut Bode